Nachdem ich gestern ja noch gelassen bis amüsiert die zum Teil panische Berichterstattung aus der ganzen Welt über den A/H1N1-Virus beobachtet habe, ist mir heute dann doch ein bisschen anders geworden. Auch wenn die bestätigten Infektionszahlen nach wie vor recht gering erscheinen (1.500 in einem der dichtesten Ballungsgebiete der Welt mit an die 30 Millionen Menschen auf engem Raum) und viele der Regierungsmaßnahmen nach heftigem Aktionismus riechen, hat sich die Situation seit gestern doch etwas geändert.
Kurzer Überblick:
- Der Virus A/H1N1 ist eine geringfügige Mutation des bekannten Vogelgrippevirus, der eventuell von Menschen auf Tiere und umgekehrt übertragen werden kann und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von Menschen zu Menschen.
- Im Distrito Federal (Mexiko-Stadt) sind nach wie vor alle Bildungseinrichtungen von Kindergarten bis Hochschule sowie Fußballstadien, Museen und archäologische Ausgrabungsstätten für jegliches Publikum geschlossen.
- Militär und Polizei verteilen in der Hauptstadt kostenlose Atemschutzmasken wie oben zu sehen.
- Im ganzen Land während eintreffende Reisende aus Mexico-City von ärztlichem Personal auf Grippe-Symptome kontrolliert.
- Es wurden inzwischen ebenso Verdachtsfälle aus 19 der 32 Bundesstaaten Mexikos (unter anderem Oaxaca, Chihuahua und Baja California) gemeldet wie aus Kalifornien, Texas, Kansas, Ohio und New York und Kanada diesseits des Atlantiks und aus Spanien und Frankreich sowie Neuseeland in Übersee. Offenbar waren alle vermutlich infizierten kürzlich im Distrito Federal in Mexiko.
- Einige Länder wie Polen und Hong-Kong haben Reisewarnungen für die betroffenen Gebiete ausgesprochen. Das Auswärtige Amt und die Weltgesundheitsorganisation haben von einer Reisewarnung bisher ausdrücklich Abstand genommen und beobachten die Situation.
- Allen bisherigen Erkenntnissen zufolge ist eine Ansteckung nicht einmal über den Verzehr von rohem Schweinefleisch möglich (keine Ahnung wer überhaupt auf die Idee kommen würde, aber um so besser), sondern nur über die Atemwege wie jede andere Grippe auch.
- Wie jede die meisten anderen Grippeformen auch ist die Schweinegrippe nicht zwingend tödlich. In den meisten Fällen verläuft der Krankheitsverlauf harmlos selbst ohne spezielle Behandlung. Es gibt antivirale Medikamente, die offenbar sehr gut anschlagen.
Soweit der Globalüberblick. Bereits am Freitag Abend wurde der erste Verdachtsfall in Monterrey publik, gestern gab es einen ersten Todesfall. Den Regios nicht untypisch ist hier jetzt erstmal Aktionismus und Panik angesagt, meiner Einschätzung nach wird aber eine ganze Menge Wind um wenig gemacht. Hier werden jedenfalls seit gestern alle Passagiere aus den betroffenen Gebieten schon am Flughafen respektive der Busstation auf Symptome geprüft. Der Gouverneur des Staates Nuevo León hat heute Abend die Schließung aller Bildungseinrichtungen vorerst bis zum 6. Mai angeordnet. Eineinhalb Wochen frei also erstmal. Vorschläge was ich in der Zeit machen soll? In Mexiko-Stadt war ich ja noch nie…
Nebeneffekte: Ich weiß jetzt wie man Schweinegrippe (influenza porcina), Inkubationszeit (período de incubación), Atemschutzmaske (tapaboca) und ähnliche Begriffe ins Spanische übersetzt. Hat doch auch was. Gehe dann mal einen schön Vitamin-C-haltigen O-Saft trinken. Und Ihr in Europa macht Euch einfach alle keine Sorgen - ist wirklich ganz schön aufgebauscht in den Medien. Der Drogenkrieg bleibt Todesgrund Nummer eins in Mexiko, da bin ich mir ganz sicher.
Was die Weltgesundheitsorganisation WHO zur Lage sagt findet man hier. Und denen vertraue ich wesentlich mehr als mexikanischen Regierungsvertretern. Sorry, Mexiko.
Die deutschsprachigen Medien berichten ausgiebig (SZ) bis reisserisch (SPON), ich erspare Euch einen Berg an Querverweisen. Lest einfach in der Zeitung Eurer Wahl und fallt nicht auf übertriebene Panik herein.
Nachtrag: Einen guten Artikel in englischer Sprache bürde ich Euch doch noch auf. Gefunden beim CNN.
Nachtrag zwei: Da habe ich doch noch eine vernünftige Zusammenfassung auf Deutsch ohne rückhaltlose Vermutungen gefunden. Überraschung - war mal wieder die ZEIT, die sich die Mühe gemacht hat. Danke.
6 Kommentare:
Ich sehe die Sache etwas anders, Jan.
Worin vertraust Du den mex. Behoerden nicht? Doch hoechstens, dass die Zahlen geschoent werden, oder?
Fuer meinen Geschmack wird die Sache von der WHO und den Regierungen NICHT ernst genug genommen bzw. zu zoegerlich.
Der Zeit-Artikel, der nicht anderes tut als nachzukauen, was das Robert Koch Institut vorkaut, ist ein gutes Bsp. dafuer.
Dass man sich in Europa KEINE Sorgen zu machen brauche, halte ich fuer eine gewagte Aussage. Angekommen ist der Virus mittlerweile. Und Sorgen sind doch ein guter - und oft de einzige - Katalysator, um die empfohlenen Schutzmassnahmen auch wirklich zu ergreifen.
Wie auch immer, das Thema bleibt natuerlich umstritten. Ich jedenfalls mache mir Sorgen.
Selbstverstaendlich gilt es, Panikmache zu verbreiten. Was aber, wenn es - was wer auch immer verhueten moege - dann doch den ersten Todesfall in Deutschland gibt und sich dann herausstellt, dass der Betroffene der "Zeit" geglaubt, dem Robert-Koch-Institut und der WHO vertraut vertraut und Jans Artikel ("keine Sorge!") gelesen hat?!
Wo liegt die Grenze zwischen Vorsicht und Hysterie/Panik, Information + Aufklärung? ICH mache mir einfach Sorgen! Pass auf dich auf und sei vorsichtig!!! Vorsicht heißt nicht mehr als vor-aus-sehen was passieren könnte wenn...
Ich habe einfach den Eindruck, dass die mexikanischen Behörden den schmalen Grad zwischen Panik und begründeter Vorsicht zuweilen überschreiten.
Wir sprechen hier nicht von einem hochgradig tödlichen Killervirus - aber genau so läuft hier in Nuevo León die Debatte. Das hat auch viel damit zu tun, dass wir mitten um Gouverneurs-, Bügermeister- und Abgeordnetenwahlkampf stecken und sich natürlich jeder Kandidat und jede Kandidatin ein bisschen über noch stärkere Maßnahmen profilieren will.
Ich wollte mit dem Beitrag nicht sagen, dass H1N1 kein Problem ist, im Gegenteil.
Einige Maßnahmen mögen heftig, aber völlig sinnvoll sein - wie zum Beispiel die Schließung von Fußballstadien und Museen in betroffenen Gebieten. Eben alles, wo viele Menschen nah an vielen Menschen sind.
Ich jedenfalls glaube mich nach wie vor durch Common Sense ganz gut schützen zu können. GHäufig Hände waschen, gesund ernähren, nicht auf Massenveranstaltungen gehen usw.. Und nicht wie so ungefähr die Hälfte aller MexikanerInnen die ich kenne erstmal sicherheitshalber ins Krankenhaus rennen. Das ist jetzt so ziemlich der letzte Ort, an dem ich sein möchte. Und hilft der Situation sicher weiter, wenn sich erstmal alle leicht Erkälteten mit allen Grippekranken und allen Hypochondern der Stadt zusammen 4 Stunden anstellen.
Also: Das hier soll nicht heißen, dass das alles kein Problem ist, aber das ich glaube, dass sich niemand um mich persönlich Sorgen machen braucht. Ist ja ein persönlicher Blog, keiner von Virologen.
Das ist ein gigantischer Betrug. Ich habe viele Jahre in Mexico Stadt gelebt und kann mich gut an die Fahrten in der Metro erinnern. Da fällt kein Blatt zwischen den Leuten herunter, in der rush our muss man manchmal drei Züge abwarten eh man rein kommt. Wenn die Situation so gefährlich wär, dann hätte es tausende von Toten geben müssen. Leute, lasst Euch nicht betrügen. Vor einigen Jahren gab es schon mal Ähnliches: den chupacabras. Das viel in die Zeit des Presidenten Zedillo, mit dem Skandal um den Bankenrettungsfond FOBAPROA. Jetzt ist die Situation ähnlich, zudem war Obama gerade in Mexico, da ging es um den Kampf gegen den Terror, um eine neue wirtschaftliche/ politische Union , um Fragen der Energiewirtschaft, also alles Themen, welche die Oposition und das mexikanische Volk generell interessiert.
Man kann auch ganz gut Internetradio von Mexico hören, da wird einem schlecht, in welcher form die Menschen verängstigt werden.
anonym ist nicht anonym sondern Uwe
@Uwe
Betrug würde ich das ganze vielleicht nicht nennen, lieber etwas zu viele Massnahmen ergriffen als etwas zu wenig bei sowas - aber die Panikmache ist schon heftig. Und Du hast Recht - wenn die Mensch-zu-Mensch-Übtertragung so sehr einfach wäre, dann müsste inzwischen ganz Mexiko den Virus haben.
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